Energie

Energiepolitik und -wirtschaft in der Großregion
Experten im Streitgespräch

Die Teilnehmer: Zu dem internen Streitgespräch hatte die Gréng Stëftung Lëtzebuerg

  • René Winkin, Generalsekretär der FEDIL, und
  • Claude Turmes, grüner Europaabgeordneter eingeladen.

Eine vollständige Transkription der Gesprächsrunde können Sie hier nachlesen: Energie

Zusammenfassung
1. Die europäische Energielandschaft im Jahr 2030

René Winkin und Claude Turmes machen für 2030 die gleiche Prognose: die Energieversorgung in Europa noch stärker grenzüberschreitend vernetzt sein. Was den Anteil der erneuerbaren Energien angeht, ist der grüne Europaabgeordnete optimistischer und rechnet damit, dass bis 2050 sie 100 Prozent des Gesamtenergiebedarfs decken können. René Winkin möchte keine genauen Prognosen machen, da die prozentuale Abdeckung sehr viel vom absoluten Verbrauch abhängt.  Vieles wird von der Entwicklung der Industrielandschaft in den nächsten Jahrzehnten abhängen.  Nun hängen die Entscheidungen der Industrie von vielen unterschiedlichen Sachzwängen ab –  Entwicklung der Märkte, Ressourcenknappheit, Preisentwicklung, politische Vorgaben, usw. –.  Er differenziert: „die Industrie als Energiekonsument betrachtet die Entwickung der Energielandschaft sicherlich mit anderen Augen als die Energiewirtschaft.“ Bei den fossilen Energieträgern rechnet er, dass immer noch Kohle, soweit klimapolitisch verträglich, etwas weniger Öl und wesentlich mehr Erdgas verwendet werden.

2. Energie in Luxemburg

René Winkin ist überzeugt, dass Luxemburg auch 2030 noch stark von ausländischer Energieproduktion abhängen, gleichzeitig aber auch mehr selber produzieren wird. Bei der Produktion eigener erneuerbarer Energien sieht das größte Potenzial bei der Biomasse, der Windenergie, sowie neuen wirtschaftlich effizienten Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen und Niedrig-Energie-Häusern. Nicht absehbar sei heute, welche Industrien es 2030 noch in Luxemburg gebe.
Claude Turmes beklagt mehrere Hindernisse für eine Energiewende in Luxemburg: Erstens die Abwesenheit einer umfassenden, klaren Strategie – „die Entscheidungsträger gehen vielmehr davon aus, dass das kleine Land sich an großen Herausforderungen, wie dem Peak Oil, vorbei wurschteln kann.“ Zweitens gäbe es keine professionellen Transmissionsriemen, d.h. Experten, die sowohl in den Verwaltungen, der Privatwirtschaft oder den Verbänden für die Umsetzung politischer Zielvorgaben in konkrete Handlungsschritte zuständig sind. Auch René Winkin stellt fest, dass zu wenig Experten in den Ministerien arbeiten, weshalb „und ständig alles ‚outgesourcet’ wird, sobald ein etwas komplizierteres Thema ansteht.“

Claude Turmes sieht die Politik in der Pflicht Luxemburg als Eco-Tech-Standort zu profilieren. Dem widerspricht René Winkin mit prinzipiellen Zweifeln an einer „dekretierten Entwicklung von Sektoren“. Schließlich könne ein Umwelttechnologiestandort allein durch die Nachfrage im Land auch nicht funktionieren – „das ist höchstens im Bausektor möglich“.
Zum Teil einig sind die beiden Experten sich in ihrer Kritik am Kompensationsfonds. Claude Turmes plädiert dafür, dass dieser „für die energieintensive Industrie durch Ziele ersetzt werden soll, die den Anteil erneuerbarer Energien in ihrem Verbrauch vorgibt und kompatibel mit nationalen Zielen sind.“ Eine Forderung, die mit René Winkins Ansage – „Wenn jemand Anstrengungen von der Industrie  fordert, wollen wir sie auch selber machen können“ – durchaus kompatibel ist.

3. Der Green New Deal in der Großregion

Was Energiefragen angeht, meint Claude Turmes, „schlummern in der Großregion viele Potentiale, vor allem im Stromsektor“. Erste Priorität solle die Energieeffizienz haben: Hier müssten hohe Standards für Gebäudebau und -sanierung gelten. Der zweite wichtige Bereich sind in Turmes’ Augen die erneuerbaren Energien (Biomasse, Wind und Solar), wo es ein substanzielles endogenes Potential gebe, so dass sie 2030 bis zu 35 Prozent des Gesamtstrombedarfs decken könnten. Auch der Transportsektor könne bis 2030 zum Großteil auf Elektromobilität umgestellt sein, aber „schwierig wird es bei Lastwagen- und Flugverkehr, wo es heute noch keine umweltverträgliche Patentlösung gibt.“ Dem entgegnet René Winkin, dass die Automobilindustrie damit rechne, dass Öl auch 2030 noch die Hauptenergieressource sein wird.

Zentrale Bedeutung hat die Positionierung der Großregion in einem europäischen Stromnetz, so Claude Turmes. Damit sie an die großen transeuropäischen Gleichstromleitungen angeschlossen wird, müsse sie ihr Potential als Abnehmer von überschüssigen Nachtstrom erkenntlich machen. Zur Frage, ob die Großregion in der Energiepolitik als starke Interessengemeinschaft auftreten könne, meint René Winkin: „Ich finde diese Grenzziehung etwas künstlich und zu eng.“ Der über unsere nationalstaatlichen Grenzen hinaus relevante politische Rahmen ist in seinen Augen die EU.  Er nimmt Claude Turmes’ Plädoyer für eine großregionale Koalition in der Energieinfrastrukturpolitik als verdeckte luxemburgische Standortpolitik wahr – „wir verteidigen da nicht unbedingt die Interessen der Großregion. Wir sagen oft Großregion, meinen aber Luxemburg.“ Dem widerspricht Claude Turmes mit dem Argument, dass Luxemburg ein ehrliches Interesse an einer engen, gleichberechtigten Zusammenarbeit in der Großregion hat. Besonders in Energiefragen sei die Großregion eine Interessengemeinschaft. Deshalb sieht der Europaabgeordnete auch im Bereich der Industriepolitik die Aufgabe der Politik vor allem darin, die notwendige Vernetzung in der Großregion herzustellen: „Sie sollte eine Initiative wie ’1,2,3 Go’  im Bereich der Eco-Technologien lancieren.“

Beim Thema Energiewirtschaft in der Großregion sind Turmes und Winkin sich einig, dass das Potenzial von Enovos für die Umstellung auf erneuerbare Energien in Luxemburg und der Großregion bisher nicht ausgeschöpft wurde. René Winkin stellt fest: „So viel wie Enovos in erneuerbare Energien investiert, könnten wir hierzulande gar nicht sinnvoll verarbeiten. Unsere Sorge ist eher, dass Betriebe in Luxemburg davon nicht ausreichend profitieren. Enovos investiert vor allem in Fonds für Großprojekte im Ausland – mit den dort involvierten Umwelttechnologien haben die Betriebe in Luxemburg heute noch wenig zu tun. Hier gilt es eine Lücke zu schliessen.

Luxemburg, den 28. Juni 2010

Eine Veranstaltung der Green European Foundation mit Unterstützung der Gréng Stëftung Lëtzebuerg, gefördert mit Geldern des EU Parlaments

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